6A Klassenspiel

Weihnachts-Botschaft mit neuem Dreh
Klasse 6A begeistert mit Aufführung des Kinderbuchklassikers „Hilfe, die Herdmanns kommen!“


Bad Nauheim – Ein Lehrer, der an der Schule verprügelt wird? Das kommt schon mal vor, wenn man den Herdmann-Kindern in die Finger gerät. Reimar Schnur stolperte jedenfalls am Samstagnachmittag mit blau-geschminktem Auge auf die Bühne des großen Saals der Freien Waldorfschule in Bad Nauheim, um das Stück „Hilfe, die Herdmanns kommen!“ anzukündigen, das er gemeinsam mit Götz Hofmann seit den Herbstferien mit seiner Klasse 6A einstudiert hatte.

Sie kennen die Herdmanns nicht? Nun, es handelt sich um die berüchtigten Geschwister aus Barbara Robinsons Kinderbuchklassiker. Sie rauchen, klauen, fluchen und haben keine Skrupel, ihre Interessen unter Gewaltanwendung durchzusetzen. Und so kommt es, dass sie beim Besuch der Sonntagsschule in der biederen US-amerikanischen Kleinstadt – sie erhoffen sich dort kostenlose Leckereien – vom Krippenspiel erfahren, das an Heiligabend in der Kirche aufgeführt werden soll. Kein anderes Kind wagt es, sich gegen die Herdmanns auf eine der Rollen zu bewerben. Klar, dass die Mitglieder der Kirchengemeinde das schlimmste Krippenspiel aller Zeiten befürchten.

Es ist erstaunlich, welche Tiefe dieser auf den ersten Blick doch recht einfache Plot als Bühnenstück entfaltet - zumal durch das unbefangene und ausdrucksstarke Spiel der Kinder dieser Waldorfschulklasse 6A. Sei es die engagierte Mutter Barbara Bradley, die – etwas widerwillig unterstützt von ihrem gutmütigen und humorvollen Mann Bob – einspringen muss, um das Krippenspiel einzustudieren. Seien es die herrlich kostümierten und geschminkten Herdmanns, die mal lässig, mal rüpelhaft und verschlagen die frömmelnde Kirchengemeinde in Aufruhr versetzen. Von der Erzählerin bis zum Engelschor: Die Rollen schienen den Kindern auf den Leib geschrieben.

„Es gibt keine kleinen Rollen, es gibt nur kleine Schauspieler“, heißt es an einer Stelle im Stück bezogen auf das Krippenspiel. Gleiches gilt für die 6A: Kleine Schauspieler gibt es hier nicht. „Das Klassenspiel war ein voller Erfolg. Alle Kinder sind über sich hinausgewachsen“, zeigt sich auch Klassenlehrer Reimar Schnur glücklich über die insgesamt drei Aufführungen in der vergangenen Woche für die Schulgemeinschaft und die Öffentlichkeit.

Die regelmäßigen Klassenspiele in den Jahrgangsstufen 6, 8 und 12 spiegeln den hohen Stellenwert, der in der Waldorfpädagogik den künstlerischen und handwerklichen Fächern beigemessen wird. Ob auf, vor oder hinter der Bühne: Unabhängig vom Umfang ihrer Rollen können sich die Schüler gemäß ihrer Stärken und Talente einbringen. So wurden auch die Weihnachtslieder des „Stücks im Stück“ von den Kindern eigenständig intoniert und mit Trompete und Klavier begleitet. Nicht zu vergessen die Eltern, die sich bei Kulisse, Requisite, Maske, Kostüm und Betreuung einbringen – ein prägendes Erlebnis für die gesamte Klassengemeinschaft.

Und die Herdmanns? Die haben zuvor noch nie etwas von Jesus gehört und sorgen mit ihrer unbedarften Neugier für eine frappierend aktuelle Perspektive auf die tradierte Weihnachtsbotschaft: Maria und Josef als Flüchtlinge, abgewiesen von den Wirten der Herbergen, bringen in ärmlichen Verhältnissen ihr Baby zur Welt, das vor dem kindermordenden König Herodes beschützt werden muss. Das bringt sogar die Herdmanns auf die Palme: Sie sind empört und geben dem Krippenspiel ihren eigenen Dreh. Und als nach eineinhalb Stunden Spielzeit die sonst mit allen Wassern gewaschene Eugenia Herdmann in der Rolle der Maria vor Rührung zu weinen beginnt und ihre kleine aufmüpfige Schwester Hedwig als „Engel des Herrn“ in Superhelden-Manier in den Saal ruft: „He, Euch ist ein Kind geboren!“ – da bleibt auch im „echten“ Publikum kaum ein Auge trocken.

BU: Die Herdmann-Kinder haben ihre eigene Vorstellung vom Krippenspiel: Während sie sich in der Probe die Jesus-Puppe zuwerfen, treiben sie die Leiterin Barbara Bradley (links) an den Rand des Wahnsinns. Die übrigen Kinder schauen erschrocken und zugleich fasziniert zu.

Text: Jan-Otto Weber
Foto: Anja Epkes 

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